
Ungekürzter Nachdruck aus Neues Deutschland mit freundlicher Genehmigung:
Werder Bremens Großmeisterin ALMIRA SKRIPCHENKO im Interview über Frauen im
Schach und das neue Buch „Chess Bitch“ aus der Feder einer Profi-Kollegin:
Sie beweist, wie sexy Schach sein kann. ALMIRA SKRIPCHENKO (29) ist die
Vorzeigefrau von Werder Bremen, des deutschen Mannschaftsmeisters im Schach,
und gleichzeitig die weibliche Nr. 1 in Frankreich, ihrer Wahlheimat. Außerdem
hat die gebürtige Moldawierin gerade in China eine neue Variante des ewigen
Spiels öffentlich getestet: das „AIGO Chess“. Über Frauen im Schachsport und
ein neues Buch, das dieses Thema unter dem provokanten Titel
„Chess Bitch“ – übersetzt: „Schach-Hure“ – diskutiert, hat die gelernte
Journalistin mit DR. RENÉ GRALLA gesprochen.
Postergirl und Spitzenspielerin - Interview mit Almira Skripchenko
Von Dr. René Gralla
Dr. RENÉ GRALLA: Im Fußballerdress kicken Sie auf Plakaten das Leder. Ein
ungewöhnlicher Weg, für die Schachabteilung Ihres Vereins PR zu machen.
ALMIRA SKRIPCHENKO: Werder Bremen realisiert damit eine sehr interessante Idee;
der Klub versteht nämlich, dass eine weibliche Spielerin mehr Potenzial als ein
Mann hat, das Team zu promoten. Allerdings ist es für mich nicht leicht
gewesen, das Konzept vor der Kamera umzusetzen. Denn eigentlich wird von uns
Schachsportlern im Turnierkampf erwartet, dass wir unsere Emotionen unter
Kontrolle halten; aber hier, während der Produktion der Imagekampagne, sollte
ich gerade Gefühle rauslassen – ich habe den Ball geschossen, und ich habe
posiert. Daran musste ich mich erst einmal gewöhnen. Schach ist ein ruhiges
Spiel, in dem Du Deinen Gegner respektierst; demonstrativer Jubel oder gar
Wutausbrüche sind fehl am Platz. Wenn Schach aber in den Medien vermarktet
wird, dann wird von Dir erwartet, dass Du vor einem Millionenpublikum auch
Persönliches von Dir preisgibst; deswegen haben viele Schachspieler ein
Problem, mit der Öffentlichkeit zu kommunizieren und zum Beispiel eine
Pressekonferenz zu geben.
Dr.GRALLA: Sie sind eine sehr attraktive Frau. Wird das manchmal lästig,
weil männliche Gegner am Brett womöglich versuchen, sich mit Ihnen zu
verabreden für ein Date nach dem Punktspiel?
SKRIPCHENKO: Nein. Abgesehen davon, dass manche Menschen mich zu kennen
glauben, weil ich schon viele Interviews gegeben habe; dann stellen sie mir
Fragen, die mit Schach nichts zu tun haben. Trotzdem versuche ich stets, auch
zu solchen Leuten höflich zu sein.
Dr.GRALLA: Sie waren verheiratet mit dem französischen Großmeister Joel
Lautier, die Ehe ist aber geschieden worden. Kriegen Sie viele Heiratsanträge
von Sportskollegen?
SKRIPCHENKO: Schachspieler sind zu smart, um etwas derart Naives zu tun.
Alexandra Kosteniuk
Dr.GRALLA: Sie zählen - neben der ehemaligen Vizeweltmeisterin Alexandra
Kosteniuk aus Russland, die Filme dreht und modelt – zu den neuen weiblichen
Superstars im Schach, die Glamour in das alte Spiel bringen. Ein Trend, mit dem
jetzt eine Profi-Kollegen aus den USA, die Internationale Meisterin Jennifer
Shahade, in einem 320-Seiten-Werk unter der reißerischen Überschrift „Chess
Bitch“ abrechnet. Jennifer Shahade kritisiert, dass für Schach-PR zunehmend gut
aussehende Spielerinnen eingesetzt werden.
SKRIPCHENKO: Wenn aber Schach auf diese Weise in den Mainstream der Medien
eingeführt werden kann: Was soll denn so schlecht daran sein?! Das macht
unseren Sport doch interessant. Gerade Alexandra Kosteniuk hat hier
Pionierarbeit geleistet auf einem Markt, den es vorher noch gar nicht gegeben
hat.
Dr.GRALLA: Die russische Großmeisterin Maria Manakowa geht einen Schritt
weiter und fordert „mehr Sex im Schach“, um für den Denksport zu werben. Sie
hat sogar Nacktphotos veröffentlicht; ist sie damit zu weit gegangen?
SKRIPCHENKO: Aus der Sicht von Maria Manakowa ist das ein geschickter Zug
gewesen, um in der Sprache unseres Sports zu bleiben. Maria Manakowa ist zwar
Großmeisterin bei den Frauen, aber trotzdem keine übermäßig starke Spielerin;
entsprechend hat sie ihre persönliche Marketingstrategie etwas anders
fokussiert, als das bisher üblich gewesen ist.
Maria Manakova
Dr.GRALLA: Und Sie, Frau Skripchenko: Würden Sie sich für den Schachsport
ausziehen?
SKRIPCHENKO (lacht): Nein! Ich hoffe doch, dass ich durch meine Leistungen als
Sportlerin überzeuge.
Dr.GRALLA: Zwischenzeitig haben Sie Ihr Interesse für den Fernen Osten
entdeckt. Bei ChessBase publizieren Sie gerade eine sechsteilige Serie über
China; die Volksrepublik gilt als aufsteigende Schachnation. Warum sind die
Chinesen so stark?
SKRIPCHENKO: Die Volksrepublik sichtet und fördert systematisch neue Talente,
eine Politik, die früher in der Sowjetunion üblich gewesen ist. Zur Erziehung
der Kinder gehört es ganz selbstverständlich, Schach zu spielen. Die Regierung
vergibt Stipendien; Begabte brauchen sich um nichts Anderes mehr zu kümmern als
um Schach.
Dr.GRALLA: Ist der Aufstieg der Chinesen auch deswegen kaum zu stoppen, weil
sie eine Jahrtausende alte eigene Schachkultur pflegen, ihr spezielles „XiangQi“?
Das lernt in der Volksrepublik jedes Kind, so selbstverständlich wie das
Einmaleins.
SKRIPCHENKO: Da ist sicher etwas dran. XiangQi bildet grundsätzliche
strategische und taktische Fertigkeiten aus, die auch Voraussetzung dafür sind,
im westlichen Schach gut zu werden.
Dr.GRALLA: Kürzlich haben Sie in Peking eine neue Schachversion getestet:
das „AIGO Chess“; der Figurensatz des westlichen Schachs wird um die Kanonen
aus dem XiangQi erweitert. Ihr Fazit nach einem Showkampf gegen die ehemalige
Weltmeisterin Xie Jun?
SKRIPCHENKO: Die spannende Fusion zweier Schachfamilien. Und eine echte
Herausforderung, zwischen den bekannten Steinen und den XiangQi-Kanonen auf dem
64-Felder-Brett Harmonie herzustellen.
Dr.GRALLA: Sie haben das Match gegen Xie Jun verloren. Woran lag’s?
SKRIPCHENKO: Erst gewann ich eine Figur. Aber Xie Jun ist auch im XiangQi eine
große Expertin; sie manövrierte elegant mit ihren Kanonen und lockte mich in
eine Mattfalle.
Dr.GRALLA: Hat AIGO Chess eine Chance, sich auch außerhalb Chinas
durchzusetzen?
SKRIPCHENKO: Auf der Amateurebene mit Sicherheit, weil das eine sehr
interessante Variante ist. Die jeder gleichzeitig leicht lernen kann: Sie
müssen dafür keine Bücher lesen, sondern sich bloß zusätzlich merken, wie die
Kanone funktioniert.
ALMIRA SKRIPCHENKO veröffentlicht ihre sechsteilige Chinaserie unter
www.chessbase.com (bereits drei Folgen sind erschienen). Die Regeln von
AIGO Chess: In der Grundstellung stehen die weißen und schwarzen b- bzw.
g-Bauern nicht auf deren bekannten Ausgangspositionen, sondern auf b3 und g3
bzw. b6 und g6. Die dadurch frei gewordenen Felder werden besetzt durch je zwei
weiße Kanonen auf b2 und g2 und sowie durch zwei schwarze Geschütze auf b7 und
g7. Die Kanone zieht, wenn sie nicht schlägt, wie ein Turm, das heißt, stur
geradeaus auf den Horizontalen und Vertikalen. Soll mit der Artillerie jedoch
eine feindliche Einheit getroffen werden, ist dafür eine so genannte „Rampe“
erforderlich: ein Stein von eigener oder fremder Farbe, der in beliebigem
Abstand zwischen Haubitze und Zielobjekt auf der Senkrechten oder Waagrechten
postiert sein muss. Über diesen virtuellen Beschleuniger hinweg feuert die
Kanone ihren Schuss ab, auf diese Weise wird die ballistische Flugbahn des
Geschosses nachgebildet. Der gegnerische Stein verschwindet vom Brett, und die
Kanone nimmt dessen Position ein. – Das Buch von Jennifer Shahade: „Chess Bitch:
Women in the Ultimate Intellectual Sport“ (Preis: 26,50 Euro) kann bestellt
werden bei
Schach Niggemann