Begegnung mit Dr. Robert Hübner

von ChessBase
29.10.2007 – Zwei Tage weilte Dr. Robert Hübner als Gast der Lasker-Gesellschaft in Berlin. In einem Gesprächsabend am vergangenen Donnerstag zeigte sich der frühere WM-Kandidat einmal mehr als profunder Kenner der Schachgeschichte und erklärte nebenbei seine aktive Schachkarriere für beendet. Tatsächlich ist der ehemalige Bundesligaspieler des OSC Baden-Baden inzwischen vereinslos. Am Freitag spielte Deutschlands bester Schachspieler nach Lasker ("Was ist mit Tarrasch?") gegen 18 Schachfreunde simultan und konnte dort nur einmal bezwungen werden. Dagobert Kohlmeyer berichtet. Bericht und Bilder...

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Robert Hübner als Schachhistoriker und Simultangeber in Berlin
Von Dagobert Kohlmeyer

Robert Hübner ist immer für eine Überraschung gut. Bei einem zweitägigen Gastspiel in Berlin erklärte er seine aktive Schachlaufbahn als beendet. Noch bis 2006 im Kader des Bundesliga-Primus OSC Baden-Baden zu finden, gehört der Doc heute keinem Verein mehr an. Dass die DSB-Teams gerade auf dem Weg nach Kreta zur Team-EM waren, nahm Hübner mit Erstaunen zur Kenntnis, ihn interessiert jetzt mehr die Vergangenheit des Schachs. Robert beschäftigt sich nach seinen eigenen Worten nur noch mit der Schachgeschichte.

Gesagt, getan. Am ersten Abend lauschte ein erlesenes Publikum im Dorland Haus am Leuschnerdamm im Berliner Stadtbezirk Kreuzberg dem ehemaligen WM-Kandidaten, der im Gespräch mit Paul Werner Wagner über Emanuel Lasker und andere historische Persönlichkeiten des Schachs referierte. Die Lasker Gesellschaft hat seit Ende 2005 ihr Domizil im Dorland Haus und ihre Räume erst vor kurzem umgestaltet.

Schachfreund Ulrich Fitzke informierte über einen launigen Abend, an dem knapp 40 Interessenten dem Dialog von Moderator Wagner und Hübner folgten. Zu Beginn wurde klargestellt, dass im Gespräch mit Hübner ausschließlich historische Themen behandelt werden sollten.


Michael Müller (Neues Deutschland) und Paul-Werner Wagner

„Wagner bezeichnete den Gast bei der Begrüßung als zweitgrößten deutschen Schachspieler aller Zeiten nach Lasker. Der so Geehrte protestierte erschrocken mit dem Hinweis auf den noch besseren Siegbert Tarrasch. Es folgten Betrachtungen über die Entwicklung des jungen Lasker und über den WM-Kampf 1894 zwischen Steinitz und Lasker. Hier sei Steinitz im ersten und dritten Drittel Lasker durchaus ebenbürtig gewesen (je 3:3), aber in der Mitte des WM-Duells hatte sich Lasker mit 6:1 durchgesetzt, so dass dieser Kampf um die Schachkrone in drei nordamerikanischen Städten insgesamt mit 12:7 endete. Aber auch die Rolle von Carl Schlechter wurde gewürdigt, dessen fehlende Aggressivität zu vielen Remisen führte und der durch diese Grundeinstellung keine Chance auf den Schacholymp besessen hatte.“

Verwiesen wurde auf Laskers Langlebigkeit als Schachprofi, der auch nach dem Verlust des WM-Titels im Jahre 1921 noch weiter zur Weltspitze gehörte. Weil er das Spiel auch aus psychologischer Sicht als Kampf zweier Charaktere betrachtete. Die philosophischen Leistungen Laskers schätzte Hübner als nicht so bedeutend ein. Ähnliches hatte der Doc schon im Januar 2001 bei seinem viel beachteten Vortrag zur Lasker-Konferenz in Potsdam festgestellt.


Das aktuelle Schachgeschehen wurde an diesem Abend nicht besprochen. Die Zuschauer konnten zwar Fragen stellen, aber persönliche Dinge blockte Hübner wie erwartet ab. Ihm sei es zeitlebens immer nur um die Faszination des Schachs gegangen, nie aber um damit verbundenen Ruhm oder gar um finanzielle Aspekte. Er wurde gefragt, ob er bei den WM-Kandidatenmatches der siebziger Jahre Freude oder Triumphgefühle wegen seiner großen Erfolge gehabt habe. Das verneinte er nach einigem Nachdenken und räumte lediglich ein, dass es ihm Genugtuung gewesen ist, gegen zugegebenermaßen geistvolle Spieler antreten zu dürfen. Er fand auch, dass Schach mehr der Kultur als dem Sport zuzuordnen sei.

Bei der häuslichen Analyse von Schachpartien arbeitet Hübner zunächst ohne Computer, prüft aber anschließend sein eigenes Denken unter Anwendung der Technik nach. „Das mag zeitraubender sein, als wenn man gleich zur Elektronik greift, aber auf diesem Wege dringt man tiefer in die Partie ein“, sagte er.

Einen Tag später gab es dann an gleicher Stelle eine Simultanveranstaltung. Zu Beginn teilte Werner Wagner mit, dass Hübner derzeit mit einem internationalen Team an einer Lasker-Biographie arbeitet. Die Organisation des Projekts hat Michael Negele aus Leverkusen übernommen, der Hübner in Berlin begleitete. Michael  überreichte dem Hausherren Stefan Hansen (Dorland und Lasker-Gesellschaft) die Zweitausgabe von Tarraschs Buch „Das Großmeisterturnier zu St. Petersburg 1914“. 

 

Lasker-Biographie mit sicheren Fakten

Während die Simultan-Vorstellung lief, erläuterte Michael Negele uns das neue Buchprojekt von Hübner & Co näher.


Michael Negele

„Lasker Biographie“ lautet sein Arbeitstitel. Wie es dann endgültig heißen wird, entscheiden die Autoren am Schluss. Die Idee stammt von Stefan Hansen. Als im Oktober 2005 die Räume der Lasker-Gesellschaft eingeweiht wurden, erklärte ich mich bereit, die Organisation des Projekts zu übernehmen. Das Buch besteht aus drei Teilen: ein biographischer, ein schachlicher und eine Partiesammlung. Die Biographie wird das Leben Laskers in all seinen Facetten zeigen, und zwar chronologisch.

Wie wird sich euer Projekt von der bekannten Hannak-Biographie unterscheiden?

Ich hoffe, in ihrer Objektivität und in der Standfestigkeit der Fakten. Alles wird noch einmal recherchiert. Wobei ich sagen muss, dass auch das Buch von Dreyer/Sieg, das kurz vor der Potsdamer Lasker-Konferenz 2001 herauskam, eine sehr solide Datenlage geschaffen hat. Aber dieses Werk ist eben sehr wissenschaftlich und damit für den historischen Laien schwer lesbar.

Ihr wollt es für ein breiteres Publikum schreiben?

Es soll ein Schachbuch sein, das für einen breiten Kreis gedacht ist. So möchte es Stefan Hansen (Lasker Gesellschaft), der das Projekt unterstützt. So ist es auch aufgebaut. Es soll Emanuel Laskers Persönlichkeit möglichst verständlich darstellen. Auch seine Philosophie, so dass auch du und ich es lesen wollen und wir es nicht beiseite legen und sagen: „Was soll ich damit?“

Wer sind die wichtigsten Autoren?

Unser Team ist recht groß, es umfasst 18 Leute. Die Biographie schreibt Johannes Fischer, den Schachteil Robert Hübner. Die Partiensammlung wird von Raj Tischbierek betreut. Das sind die schachlichen Pfeiler. Dann gibt es einzelne Beiträge von bekannten Schachhistorikern aus aller Welt. Sie kommen vor allem aus den Ländern, wo Lasker gelebt hat, also Polen, Deutschland, Niederlande, England, Russland, USA. Das erschien uns ganz wichtig, damit nicht nur ein deutscher Blickwinkel auf Emanuel Lasker gesetzt wird. Die Palette reicht von John Hilbert (USA) über Toni Gillen (England) bis zu Isaak Linder (Russland). Alles berühmte Namen, die für Qualität bürgen.

Im Nebenraum sprachen indessen die Figuren. Hübners Simultan hatte Schachfreunde unterschiedlicher Stärke nicht nur aus Berlin. 18 Amateure wagten den Kampf gegen den früheren WM-Kandidaten, der seine große Karriere zwar beendet hat, aber die Holzklötzchen noch immer gern zu einem guten Zweck bewegt.


In gespannter Erwartung


Dr. Robert Hübner


Stefan Hansen

Neben dem Vorsitzenden der Lasker-Gesellschaft Paul Werner Wagner hatten bekannte Berliner Schachfreunde wie Hans-Peter Ketterling oder Bernhard Riess sich auf das Spiel mit Hübner eingelassen.


Paul-Werner Wagner (li.)


Hans-Peter Ketterling (li.)

Als erster Teilnehmer musste Professor Stefan Edlich schon nach einer halben Stunde die Überlegenheit des Großmeisters anerkennen.


Professor Stefan Edlich (li.)

Der ehemalige Zehlendorfer Klubspieler, er lehrt Informatik an der TFA Berlin, kommt heute kaum noch zum Spielen und ist darum etwas aus der Übung. In der Eröffnung hatte sich Schachfreund Edlich einen Patzer erlaubt, sein Läuferausflug nach f5 und die anschließenden Züge sind nicht zur Nachahmung empfohlen: 1.d4 d5 2.c4 c6 3.Sc3 Sf6 4.Sf3 Lf5 5.Db3 b6 6.cxd5 cxd5 7.Se5 e6 8.e4 Lxe4 9.Lb5+ Sbd7 10.Sxe4 dxe4 11.Lg5 (Schwarz ist an Händen und Füßen gefesselt) 1-0

Deutlich besser erging es dem Berliner Steffen Lohse, der sein Kommen vor dem Spiel so begründete: „Mich begeistern Robert Hübners analytische Tätigkeit und seine tiefsinnige Betrachtung des Schachs. Es ist eine Freude für mich, gegen so einen scharfen Denker zu spielen“.


Steffen Lohse (li.)

Noch mehr freute sich Steffen ein paar Stunden später, als er dem Schachidol nach interessantem Partieverlauf einen halben Punkt abgeknöpft hatte. „Damit konnte ich vorher natürlich nicht rechnen“. Steffen spielt in Berlin in der zweiten Mannschaft von SV Osram Betriebsschach und hat eine DWZ von 1714. Apropos Betriebsschach: Berlins Spielleiter und Webmaster Bernhard Riess war an diesem Abend auch dabei, ohne dem Großmeister jedoch ein Bein stellen zu können.

Den weitesten Weg hatte Frank Jarchov, der von seinem Arbeitsort Ulm in die Hauptstadt gekommen war.


Frank Jarchov reiste aus Ulm an

Dem engagierten Schachfreund imponieren vor allem Hübners konstante Leistungen über 30 Jahre hinweg. „Darum bin ich heute extra von Ulm nach Berlin gereist, um gegen ihn spielen zu können. Ich habe nur 1345 DWZ und deshalb so gut wie keine Chance. Es wird ein harter Kampf für mich“.

Die Sportfreunde Nord-Ost Berlin waren gleich mit drei Spielern angetreten, und ihr Bester, Jens-Uwe Jaeschke (DWZ 2175), schaffte ein Remis. Held des Abends aber war Patrick Böttcher (Zitadelle Spandau, DWZ 2116), der Robert Hübner bezwingen konnte. 15 Siege waren dennoch standesgemäß für den „nichtaktiven“ Großmeister.

 

 

 

 

 


Die ChessBase GmbH, mit Sitz in Hamburg, wurde 1987 gegründet und produziert Schachdatenbanken sowie Lehr- und Trainingskurse für Schachspieler. Seit 1997 veröffentlich ChessBase auf seiner Webseite aktuelle Nachrichten aus der Schachwelt. ChessBase News erscheint inzwischen in vier Sprachen und gilt weltweit als wichtigste Schachnachrichtenseite.

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