Über Kasparow, Putin
und die Schacholympiade in Dresden
Interview mit Exweltmeister Anatoli Karpow
Von Dagobert Kohlmeyer
Am Sonntag wird in
Russland gewählt. Während seiner fünftägigen Haft in Moskau hätte
Oppositionsführer Garri Kasparow beinahe Besuch von seinem ehemaligen
Schach-Rivalen Anatoli Karpow bekommen. Dieser wurde aber wie auch der
Duma-Abgeordnete Wladimir Ryschkow nicht vorgelassen. An diesem Wochenende
hält sich Karpow nun in Deutschland auf. Dagobert Kohlmeyer hat mit ihm über
die Ereignisse um Kasparow in Moskau, die russischen Wahlen und über
schachliche Themen gesprochen. Ein Dank gilt Karpows langjährigem deutschen
Freund Dieter Auer, der die telefonische Verbindung gestrickt hat.
War die
Verhaftung Garri Kasparows und das Besuchsverbot nach russischem Recht eine
Gesetzesverletzung?
Das kann man
verschieden interpretieren. Ungesetzlich war auf jeden Fall, dass sie
zunächst ein Päckchen mit Lebensmitteln und Büchern von Kasparows Mutter
nicht zu ihm durchließen. Ich hatte eine Schachzeitung für meinen ehemaligen
Rivalen mit und gab sie im Gefängnis ab, damit er etwas zu lesen hatte.
Amnestie
international sagt, der Kreml plante schon vor der Anti-Putin-Demonstration,
Kasparow kurz vor den Wahlen aus dem Verkehr zu ziehen.
Ich weiß nicht. Es kann
sein, dass sie es vorhatten. Nach dem Motto: „Wenn er etwas Illegales tut,
also Widerstand leistet, dann bekommt er Probleme“. Seine Verhaftung hat
aber nicht Putin veranlasst.
Warum wollten
ausgerechnet Sie ihn besuchen?
Aus rein menschlichen
Motiven. Es war der dritte Tag seiner Haft, und ich verstehe, wie ekelhaft
es ist, im Knast zu sitzen. Ich wollte nur sehen, ob sie ihn ordentlich
behandeln. Und wenn sie mich durchgelassen hätten, ihm einige Zeit widmen.
Kasparow, Karpow WM 1984
Obwohl ihr beide
wahrlich keine Freunde seid…
Das sind wir in der Tat
nie gewesen, aber selbst in den härtesten Zeiten gab es immer diplomatische
Beziehungen zwischen uns. Wir haben ein normales Verhältnis und achten
einander. Und weil Kasparow jetzt in einer solchen Situation war, wollte ich
mich einfach erkundigen, wie es ihm geht.
Teilen Sie
Kasparows politische Ansichten?
Nein. Ich denke, es war
überhaupt ein Fehler von ihm, nach Beendigung seiner aktiven Schachlaufbahn
in die Politik zu gehen. In Russland jedenfalls hat er nicht die geringste
Chance.
Warum tut er es
dennoch?
Fragen Sie ihn selbst.
Vergüten die
Amerikaner ihm, dass er Putin regelmäßig provoziert?
Das ist durchaus
möglich. Auskunft darüber kann nur sein Bankkonto geben.
Sie gelten als
Anhänger Putins. Werden Sie am Sonntag seine Partei wählen?
Ich komme nicht mehr
dazu, weil ich nicht zu Hause bin, sondern in Süddeutschland. Wäre ich in
Berlin, könnte ich in der russischen Botschaft meine Stimme abgeben.
Warum ist
Wladimir Putin in Ihren Augen ein geeigneter Präsident?
Weil er die richtige
Politik macht. Unser riesiges Land braucht einen Mann mit starken Nerven und
starker Macht. Das ist die Voraussetzung, um es regieren zu können. Bevor
Putin ans Ruder kam, ging es Russland schlecht. Es hätte in viele Teile
zerfallen können. Heute ist unser Staat stark genug und einig.
Viele sehen in
dem russischen Präsidenten einen Diktator.
Nein, das ist er meiner
Meinung nach nicht.
Was hat Putin
vor: Erst Premierminister und später wieder Präsident zu werden?
Lesen Sie seine jüngste
Erklärung.
Konnten Sie nach
Kasparows Freilassung mit ihm sprechen?
Ja, wir haben der
Radiostation „Echo Moskaus“ gemeinsam ein großes Interview gegeben. Kasparow
sagte dort, er war erstaunt, dass ich ihn in der Haft besuchen wollte, weil
das praktisch kein anderer versucht hat: kein Schachspieler oder politischer
Anhänger von ihm.
Sie sind ein viel
beschäftigter Mann: Schachspieler, UNICEF-Botschafter, Chef des russischen
Friedensfonds. Welches ist derzeit Ihre Hauptbetätigung?
Für mich ist alles
wichtig. Ich komme gerade aus Weißrussland von einer Konferenz des dortigen
Friedensfonds. Es ging um die Frage, wie Kindern, die noch immer unter den
Folgen der Katastrophe von Tschernobyl leiden, geholfen werden kann. Es gibt
da ein großes gemeinsames Programm mit deutschen Partnern. Ich möchte an
dieser Stelle meine große Dankbarkeit ausdrücken, dass die Deutschen
mithelfen, weißrussische Kinder zu heilen.
Dresden richtet,
wie Sie wissen, die Schacholympiade 2008 aus. Prominente Persönlichkeiten
wurden von den Organisatoren als Olympiabotschafter gewonnen. Aus der
Schachszene sind es u. a. Szuzsa Polgar und Wolfgang Uhlmann. Wäre das auch
für Sie vorstellbar?
Eine offizielle Anfrage
von ihnen habe ich noch nicht erhalten. Ich weiß nicht, was man dort von mir
erwartet. Aber ich wäre bereit, die Durchführung der Olympiade in Dresden
mit meinem Namen zu unterstützen.
Wir haben seit
Mai einen neuen DSB-Präsidenten. Kennen Sie ihn?
Ich lernte Robert von
Weizsäcker an diesem Wochenende persönlich kennen und denke, er wird ein
aktiver Präsident sein. Weil er so großes Interesse am Schach hat. Das ist
ganz wichtig. Er ist ein Neuling in diesem Amt, okay, aber ich hoffe, Herr
von Weizsäcker wird ein starker Präsident.
Hilft sein
prominenter Name dabei?
Absolut. In Russland
war früher zum Beispiel der Kosmonaut Vitali Sewastjanow einige Zeit
Schachpräsident. Heute führt der Vizepremier Alexander Shukow unseren
Verband an. Das hilft dem Schach sehr. Ich freue mich, dass in Deutschland
jetzt dieser Wechsel stattgefunden hat.
Noch etwas
Persönliches. Sie sind ein Ruheloser und etwa zwei Drittel des Jahres in der
Welt unterwegs. Wie verkraftet man über viele Jahre hinweg ein derartiges
Pensum?
Es ist nicht ganz
einfach. Aber der Schachsport lehrte mich, meine knappe Zeit genau
einzuteilen und mit meinen Kräften zu haushalten. Manchmal spüre ich schon,
dass es schwerer wird. Noch aber reicht meine Energie aus, um alle Aufgaben
zu bewältigen.
Wie lange machen
Sie eigentlich Urlaub?
Viel zu wenig. In den
vergangen zwei Jahrzehnten reichte meine Zeit nie für ausgedehnte
Erholungspausen. Ein Urlaub dauert bei mir maximal zehn Tage. Familie und
Verwandte leiden darunter. Aber mehr Zeit habe ich nicht.