Schach-WM: Anand hält Vorsprung

von ChessBase
19.10.2008 – Mit 2,5:1,5 hat Viswanathan Anand das erste Drittel des Wettkampfes um die Weltmeisterschaft für sich entschieden. Die samstägliche vierte Partie endete mit dem Ergebnis, das viele Experten an diesem Tag für das wahrscheinlichste hielten; Remis. Kramnik folgte damit einer ehernen Wettkampfregel der russischen Schachschule, gemäß der man nach einer Niederlage in der nächsten Partie stets auf remis spielen solle. Zudem führte der Herausforderer die schwarzen Steine. Anand hatte als Führender im Match auch keinen Grund, scharf auf Gewinn zu spielen. Am Montag beginnt das zweite Drittel. Kramnik muss versuchen, die Initiative in der Eröffnungsschlacht zu gewinnen, denn diese lag bisher beim Titelverteidiger. Partienalysen bei Spiegel-online...Bericht aus Bonn...

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Anand gegen Kramnik: Kleine Zwischenbilanz
Von André Schulz
Bilder: Wolfgang Rzychon, André Schulz

Eigentlich war folgendes Szenario erwartet worden: Anand bestürmt mit Weiß nach 1.e4 Kramniks Festungen Russisch oder "Berliner Mauer" und muss sich mit Schwarz Kramniks Katalanischem Bulldozer erwehren oder sich über das Minenfeld der Anti-Moskauer Variante bewegen. Nichts davon trat bisher ein. Die erste Partie des Wettkampfes sollte man dabei vielleicht nicht zu sehr gewichten. Kramnik wählte gegen Anands Slawische Verteidigung die Abtauschvariante, für die erste Matchpartie also einen risikolosen ersten Aufschlag, der sicher im Feld landete, dem Titelverteidiger aber auch keine großen Probleme bereitete.

In der zweiten Partie landete der Weltmeister mit 1.d4 einen Überraschungscoup. Mit einigen wenigen Ausnahmen war bisher der Zug des Königsbauern Anands erste Wahl für ernsthafte lange Partien. Nur gelegentlich experimentierte der Inder mit 1.d4, meistens, wenn er er davon ausgehen konnte, dass sein Gegner die Damenindische Verteidigung wählen würde. Ab was hat Anand gegen Königsindisch oder Grünfeld vorbereitet? Was würde er gegen Benoni spielen. Wird Kramnik das im Laufe des Wettkampfes noch in Erfahrung bringen wollen?

"Natürlich hatte ich die gespielte Variante heute Morgen nicht auf dem Brett", meinte Kramnik nach der zweiten Partie. "Aber wirklich überrascht war ich nicht.

Es ist ja schließlich nicht das erste Mal, dass jemand 1.d4 gegen mich spielt," und damit spielte der frühere Weltmeister auch auf seinen Titel-Wettkampf gegen Peter Leko an, wo der ungarische e4-Spieler ebenfalls zur Überraschungswaffe d-Bauer gegriffen hatte.

In der dritten Partie kam es zum ersten wirklichen theoretischen Duell der beiden Weltmeisteraspiranten, das auf dem Gebiet der Meraner Variante geführt wurde. Anand überraschte Kramnik in einer der Hauptvarianten mit einem Bauernopfer in ohnehin scharfer Position. Varianten, die der Inder schon auf seinem Analysebrett und mit Computerhilfe begutachtet hatte, musste Kramnik sich nun am Brett erarbeiten. Das kostet vor allem viel Zeit und bald hatte Anand in dieser Partie einen Zeitvorteil von fast 1 Stunde.

Doch mit seiner Idee 18.Lf4 fand Kramnik eine kreative Antwort und brachte nun seinerseits Anand zum Nachdenken. "War 18.Lf4 der erste Zug, der nicht vorbereitet war?", wollte Ian Rogers auf der Pressekonferenz von Anand wissen. Der lachte: "Wenn du mich zu einem Bier einlädst, werd ich es dir erzählen. Aber erst nach dem Wettkampf!"

Natürlich lässt sich Anand im WM-Kampf nicht in die Karten gucken. Aber auch nach dem Match wird Ian nichts erfahren: Anand ist Antialkoholiker."

"Ich habe mich gar nicht so schlecht gefühlt", meine Kramnik. "Genau genommen, mochte ich meine Position und habe auf Vorteil gespielt." Bei diesen Worten war Anands Gesicht allerdings für einen kleinen Moment mit Skepsis durchzogen, als er seinem Wettkampfgegner lauschte.

"Die Position war natürlich außerordentlich kompliziert und lud zu Fehlern ein. Mein Zug 32.f3 war sicher einer", schloss Kramnik seine Kurzeinschätzung ab.

Ein Schwarzsieg in einem Wettkampf zweier gleich starker Gegner, ist doch ein ziemlicher Vorteil. Besonders in einem kurzen Wettkampf wie diesem. In der vierten Partie wählte Kramnik gegen Anands neuerlichem Eröffnungszug 1.d4 nun das Orthodoxe Damengambit.











Anand spielte die Variante mit 5.Lf4 und Kramnik wich mit 5.Sbd7 etwaiger Vorbereitung zur Sicherheit aus. In der Folge verwaltete der lange Mann aus Tuapse zwar einen Isolani, dies aber recht mühelos. Kurz vor Ende der Partie hätte der Russe auch noch etwas Druck machen können. Doch gemäß der goldenen Wettkampfregel, wonach man nach einer Niederlage stets ein Remis anzustreben hat, um wieder in den Wettkampf zu kommen, forcierte Kramnik erwartungsgemäß die Punkteteilung.

Nein, der kleine Rückstand sei nicht entscheidend, erläuterte Kramnik auf der Pressekonferenz. Ärgerlich, natürlich, aber er kenne das Gefühl, wenn man in einem WM-Kampf hinten liege, womit der Herausforderer erneut auf sein Match 2004 gegen Leko anspielte, als er erst in der letzten Partie den notwendigen Ausgleich erziele.

"Im modernen durch Computeranalysen geprägten Spitzenschach werde es für Weiß immer schwerer, Vorteil nachzuweisen, während Schwarz in vielen Eröffnungen leichter zum Ausgleich käme, analysierte Kramnik weiter etwas allgemeiner. "Allerdings", beeilte er sich hinzuzufügen, "werde ich am Montag zu zeigen versuchen, dass es doch möglich ist."

Die Pressekonferenzen, im Kommentatorenraum abgehalten, ist übrigens genauso durchformalisiert, wie der ganze Wettkampf. UEP-Präsident Josef Resch begrüßt am Anfang des Wettkampftages, kurz vor 15 Uhr, die Zuschauer und ruft dann die Spieler auf. Der Weißspieler erscheint von links und sitzt während der Partie auch auf der von Zuschauerraum aus gesehen linken Seite des Tisches, der Schwarzspieler rechts.







Über den Köpfen der Spieler ist die dekorative Brettgrafik der DGT-Übertragungs- und Präsentationssoftware zu sehen. Die Zuschauer, von der Bühne durch eine nur zum Teil lichtdurchlässige Gaze getrennt, verhalten sich sehr diszipliniert. Am Eingang werden die Mobiltelefone ausgeschaltet und anders als z.B. noch an gleicher Stelle vor zwei Jahren beim Wettkampf Kramnik gegen Deep Fritz gibt es keine Kopfhörer, mit deren Hilfe man die Kommentatoren hören kann. Wer Kommentare hören will, geht in den Kommentatorraum, wo im Wechsel Helmut Pfleger, Artur Jussupov und Klaus Bischoff zusammen mit den Zuschauern die Partie analysieren.

Die Kommentare, die Partie und Interviews werden mit dem neuen Foidos-System in Videostreams ins Internet übertragen, so dass man sogar zu Hause sehr viel von der Atmosphäre vor Ort mitbekommen kann.



Bei der Pressekonferenz sitzt Kramnik stets rechts von Moderator Klaus Bischoff, Anand links. Vor den Spielern erscheinen aber erst noch die vier Hostessen, die in Bonn stets die beiden Hauptsponsoren Gazprom und Evonik ins Bild setzten - das war ein wirklich hübscher Einfall der Organisation.


FIDE-Ehrenpräsident Campomanes


Anand und sein Schatten


Kramnik gibt noch ein Autogramm


Zuerst sind immer die Hostessen da


DSB-Präsident Robert von Weizsäcker im Gespräch mit Artur Jussupov


Die Presse


Noch mehr Presse...

Die Pressekonferenz wird in englisch gehalten, woran sich besonders die Russen vor Ort am ersten Tag noch gewöhnen mussten. Als erstes fragt Klaus Bischoff den Weißspieler nach seiner Einschätzung. Anand redet bei seiner Einschätzung nur über Schach, zählt ein paar Varianten und Züge auf und überlässt dann Kramnik das Wort.


Anand kalkuliert eine Variante

Der Herausforderer ist eher bereit, über eigene Gefühle und Befindlichkeiten oder psychologische Begleitumstände zu reden, wobei man den Eindruck hat, dass er manches in seiner Darstellung abschwächen möchte.

Besonders am ersten Tag und beim Festakt im Rathaus wirkten beide Spieler sehr angespannt. Kramnik zeigte sich zwar ostentativ gelöst und zu Scherzen aufgelegt. aber man merkte ihm doch seine Anspannung an. Anand versuchte nicht einmal zu schauspielern, verständlich: hier geht es um die Schachweltmeisterschaft.


Seitenblick auf die Bühne

Die dritte Partie schlug alle Zuschauer in ihren Bann. Selbst die, die von Schach keinerlei Ahnung hatten, ließen sich von der Spannung anstecken und waren bis zum dramatischen Schluss gefesselt. Hier in Bonn kann man erleben, dass auch Schach ein Actionsport ist. Zwei anscheinend unbeweglich an einem Tisch sitzende Schachspieler lassen ihre Gedanken fliegen. Und so wie der WM-Kampf in der Bundeskunsthalle von der UEP inszeniert ist, spüren die Zuschauer die Intensität des Kopfduells und versuchen mit ihren eigenen Gedanken, den Spielern bei deren Überlegungen zu folgen - wenigstens ein bisschen.


 

 

 

 

 

 


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