Erinnerungen an Igors Rausis (*7. April 1961, †28. März 2024)

von Roger Lorenz
04.04.2024 – Der am 7. April 1961 geborene Großmeister Igors Rausis erhielt vor allem als Betrüger traurige Berühmtheit. Im Juli 2019 wurde er bei einem Open in Strasburg mit einem Handy auf der Toilette erwischt, im Dezember 2019 sperrte ihn die FIDE für sechs Jahre und entzog ihm den Großmeistertitel. Rausis wechselte daraufhin seinen Namen und nannte sich Isa Kasimi. Rausis, der seit langem an Krebs litt, starb am 28. März 2024. In einem Nachruf erinnert Roger Lorenz an die sympathischen Seiten des Großmeisters. | Foto: Schachserver Novy Bor

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Erinnerungen an Igors Rausis

Am 28.03.2024 ist GM Igor Rausis im Alter von 62 Jahren verstorben. Im Laufe seines Lebens hat er für viele Föderationen gespielt und auch seinen Namen zweimal geändert. So nannte er sich zum Zeitpunkt seines Todes Isa Kasimi. Aber als ich ihm persönlich begegnet bin, war er Igors Rausis; daher verwende ich hier auch diesen Namen.

Igor Rausis | Foto: Wikipedia

Traurige Berühmtheit erlangte Igors Rausis 2019, als er bei einem Turnier in Straßburg dabei erwischt wurde, wie er auf der Toilette seine Partie mit einem Handy analysierte. Nähere Details dazu kann man kann man in dem ChessBase Artikel ”Der Fall Igor Rausis” nachlesen.

Ich möchte in diesem Artikel sein Verhalten nicht rechtfertigen oder relativieren. Er hat betrogen, wurde erwischt und zu Recht bestraft. Aber es gab eine andere, sehr sympathische Seite von ihm, die meiner Meinung nach auch nicht vergessen werden sollte. Daher habe ich meine persönliche Begegnung mit ihm in diesem Artikel festgehalten.

Im April 2007 kam es in der Regionalliga Mittelrhein zu der Begegnung SC Bonn/Beuel gegen den Brühler SK. Und am ersten Brett der Brühler spielte damals Igors Rausis.

Standesgemäß brachte Igors Rausis damals sein Team in Führung. Mir gelang am Brett 4 später der Ausgleich. Hier ist das Finale meiner Partie:

Ich erinnere mich, dass ich sehr zufrieden mit der Partie war. Meiner Meinung war die Stellung nach dem 43. Zug für mich gewonnen und ich habe die Partie dann auch mit guter Technik souverän zu Ende gespielt.

Bei der Analyse gesellte sich dann Igors Rausis zu uns und zeigte sich sehr überrascht, dass ich gewonnen hatte. Er hatte zuletzt nach dem 43. Zug bei unserem Brett vorbeigeschaut und war davon ausgegangen, dass die Partie Remis enden würde. Selbstbewusst skizzierte ich meine Pläne, die ich in der Partie umgesetzt hatte und gab zu Protokoll, dass die Stellung einfach gewonnen für mich war. Mein damaliger Gegner schien der gleichen Meinung gewesen zu sein.

Igors Rausis war anderer Meinung. Er führte in der Stellung nach dem 43. Zug zu meiner Überraschung die Züge 44. Ra7 Rb4 ({statt der Partiefortsetzung} 44... Ra1) 45. Rxa5 Kg7 46. Kg5 (46. Ra7+ Kg6) 46... Rb7 47. Kxf4 aus, nach denen die folgende Stellung entstand:

Hier war ich baff. Ich war der Ansicht, dass dieses Endspiel einfach für Weiß gewonnen sei. Igors Rausis forderte mich auf, dieses gegen ihn am Brett zu beweisen. Und zu meiner Überraschung war ich nicht in der Lage, ihm Schwierigkeiten zu bereiten. Er war sehr geduldig mit mir, erklärte mir die Feinheiten des Endspiels, z.B. dass der schwarze König möglichst lange auf f7 ausharren sollte, und dass schwarze Turm häufig auf a1 am besten steht, um sowohl von hinten als auch von der Seite angreifen zu können. Außerdem erzählte er mir, dass Botwinnik der Erste war, der dieses Endspiel in den 1950ern systematisch untersucht hatte. Insgesamt hat er sich damals fast eine halbe Stunde Zeit genommen, um mir dieses Endspiel näher zu bringen.

Für mich war das damals ein typischer “As every Russian School Boy knows, ...” Moment.  In Russland lernt jedes Schulkind in jungen Jahren die Feinheiten eines solchen Endspiels, während in westlichen Ländern dieses Wissen auch bei stärkeren Spielern nicht weit verbreitet ist.

Ich war Igors Rausis auf jeden Fall sehr dankbar für diese sehr freundliche und kompetente Lektion. Um so mehr hat es mich betroffen, als ich von seinem Betrug erfahren habe. Aber ich denke, dass er es verdient hat, dass man sich auch an seine guten Seiten erinnert.

Nachtrag

Ich habe später festgestellt, dass auch sehr starke Spieler Schwierigkeiten mit diesem Endspiel haben können.  So verlor z.B. ein sehr junger Magnus Carlsen die folgende Partie gegen Levon Aronian.

Magnus verteidigte sich 20 Züge korrekt, machte dann einen Fehler, nachdem die Partie für Schwarz gewonnen gewesen wäre. Aber Levon revanchierte sich direkt, so dass Magnus doch noch das Remis hätte erreichen können. Leider fand er den richtigen Zug nicht und verlor die Partie.

So einfach ist dieses Endspiel also nicht, wenn zwei Koryphäen damit Schwierigkeiten haben. Ich bin mir aber sicher, dass Igor Rausis diese Partie mit Leichtigkeit gegen Levon Aronian Remis gehalten hätte.

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Roger Lorenz studierte Informatik in Bonn in den 1980ern und arbeitete später viele Jahre als Projektmanager und Berater. Im Ruhestand hat er nun mehr Zeit für seine Hobbies wie Schachspielen, Schachgeschichte und Schachengines. Er ist Mitglied des Schachklubs Bonn-Beuel und der Chess History and Literature Society. Kontaktieren kann man ihn über seine Homepage.
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